Dieser Artikel ist aus (m)einer völligen Amateurperspektive geschrieben und wahrscheinlich in einigen Schlußfolgerungen voreilig und unwissenschaftlich. Aber vielleicht ist ja auch etwas dran, mit unvoreingenommenen Blick auf die Landschaft zu schauen und zu versuchen, sie zu lesen.

Als ich im Frühjahr 2022 mehr oder weniger unfreiwillig doch einmal wieder in ein Flugzeug steigen musste, machte ich einige Beobachtungen aus der Luft, die mich tagelang faszinierten:
Im Frühjahr gibt es eine ausgewogene Mischung aus bestellten, mit Vegetation bedeckten und frisch umgepflügten Flächen, auf denen die Erde blank liegt. Mit dem Abstand von 8 bis 10km zum Erdboden und dem richtigen Einfall der Sonne wurden große Strukturen in der Erde sichtbar, die offensichtlich etwas mit Erosion, Humus und Feuchtigkeit in der Landschaft zu tun hatten. Sie schienen überhaupt nicht in das darüberliegende Raster der landwirtschaftlich unterteilten Flächen und Schläge zu passen. Die Landschaft erzählt ihre Geschichte.


Die Aufnahmen dieses Artikels wurden aus der Luft über Serbien gemacht. Gerade der untere Teil des oberen Bildes wirft bei mir so viele Fragen auf!
Erst dachte ich, dass vielleicht die Plexiglasscheibe des Flugzeugs im Gegenlicht der Sonne diese Farben- und Helligkeitsunterschiede verursacht. Doch die Flecken blieben an der Landschaft verhaftet, wenn ich die Kameraposition veränderte. Was ich wahrnahm musste also wirklich am Boden da unten liegen.
Aber wie kommt es, dass ein Teil der Landschaft so aussieht, als ob ein riesiger Kamm gleichmässig über die Landschaft gekratzt hat? Die Landschaft scheint sehr flach zu sein. Also woher kommen diese Furchen? Oder sind es lediglich unterschiedliche Feuchtigkeitsverteilungen, die die Sonne unterschiedlich reflektieren? Gab es auch hier irgendwann in der Vergangenheit Gletscher wie in Norddeutschland, die im Laufe der Jahrtausende über das Land schliffen? Wie alt können diese Spuren sein? In diesem Fall reicht meine Fantasie nicht, um mir die Erklärung herbei zu denken.

Landwirte wissen natürlich schon lange, dass Böden in ihrer Beschaffenheit und damit auch Fruchtbarkeit auf dem selben Schlag stark variieren können. Da Dünger teuer ist, gibt es inzwischen moderne Technik, die mittels GPS-Koordinaten den Dünger punktgenau auf stark unterschiedlichen Teilflächen ausbringen kann.
Mir (dem Amateur) stellt sich beim Betrachten dieser Landschaft die Frage, ob es nicht sinnvoller wäre, die zu bewirtschaftenden Flächen eher nach ihrem natürlichen Bodenverhältnissen als nach einem willkürlichen wirkenden geometrischen Raster einzuteilen. Würde das nicht zu einer gleichmäßigeren Bewirtschaftung führen? Im Keylinedesign werden beispielsweise die geologischen Höhenlinien genutzt, um Flächen und Teilflächen zu unterteilen und somit den Abfluss von Wasser zu verlangsamen und es gleichmäßiger in der dreidimensionalen Fläche zu halten. Aber wie kann so eine kleinteilig ver- und aufgeteilte Landschaft wie in den Fotos nach jahrhundertelanger Geschichte privater Besitzverhältnisse komplett neu eingeteilt werden und alle machen freiwillig mit?

Aber zurück zur Landschaft aus dem Flugzeug: Nicht weniger beindruckend aber leichter zu erklären finde ich die Spuren entlang des Flusses Tisa bei Batka. Sie entspringt hunderte Kilometer weiter nordöstlich in den Karpaten und bildet eine Weile lang die Grenze zwischen Rumänien und der Ukraine. Als Gebirgsfluss wird sie sicherlich eine Menge Schmelzwasser ableiten. Im Bild ist sehr gut zu erkennen, wie sich im Laufe der Jahre bei Batka mit den an- und abschwellenden Wasserpegeln das Ufer des Flusses immer weiter in die flache Landschaft gefressen hat. Es lassen sich leicht 50 Ringe zählen, die sicherlich die Verläufe der ehemaligen Flussufer im Laufe der Vergangenheit repräsentieren. Irgendwann änderte sich der Flussverlauf radikal, so dass die Jahrzehnte alten Uferringe am unteren Bildrand durch den neuen Verlauf schräg durchschnitten wurden. Vermutlich durch menschliche Aktivitäten wurde der Fluss später an dieser Stelle begradigt und aus dem ehemaligen Neander Ackerland gemacht.

Betrachte ich mir die Gegend aus dem Foto aus noch größerer Entfernung zum Beispiel mittels der Satellitenfotos auf Google-Maps, dann erscheint in der weitläufigeren umliegenden Gegend ein ganzes Wirrwar an Spuren, das noch viel mehr ehemalige Flussverläufe aufzeigt. Waren das unterschiedliche Flüsse oder verlagert ein einzelner Fluss seinen Verlauf im Laufe der Jahrtausende über so große Entfernungen durch die Landschaft? Sind die Seen Überbleibsel der Flussverläufe? Was passiert, wenn wir diese Landschaftsdynamik stoppen?
Zu welchen Folgen das Begradigen bei großen Flüssen führen kann, ist regelmäßig in besonders davon betroffenen Einzugsgebieten im Frühjahr und bei großflächigen Starkregenereignissen zu beobachten. Durch das eingeschränkte Volumen der begradigten Flussläufe fehlt die puffernde Wirkung der Neander und Überflutungsflächen und das Wasser dehnt sich an anderen Stellen in ungewünschte Gebiete aus. Das Anschwellen der Flüsse wird auch noch durch das Verändern der Pufferwirkung der Landschaft verstärkt, wie beispielsweise das Freihalten der Kautschicht auf landwirtschaftlichen Flächen, weil das Wasser infolgedessen schneller abläuft und nicht lange genug in der Landschaft gehalten wird. Die wirtschaftlichen Schäden gehen bis in die Milliardenbereiche.
Talsperren sind ein weiteres Beispiel: Steine und Kiesel werden durch Flüsse immer weiter Richtung Meer transportiert. Sie kommen jedoch nicht an der Staumauer vorbei. So sammeln sich auf dem Grund der Stauseen an. Jedes Jahr ein wenig mehr Sedimentschicht am Boden und etwas weniger Wasser im Stausee darüber.

Inzwischen fallen mir die Bodenunterschiede auch schon aus dem Reisebus auf. Besonders bei so großen unbestellten Flächen wie im Bild oben. Mit wachsender Erfahrung lassen sich die Bodenunterschiede auch unter oder mittels Vegetation vermuten und lesen. Und so lerne ich von Jahr zu Jahr dazu…

Matthias Fritsch ist Teil des Kernteams im Waldgarten in Rehfelde-Dorf. Aus beruflichen und privaten Gründen ist er immer wieder mit dem europäischen Fernbusnetz zwischen Berlin und Athen unterwegs & dokumentiert als Filmemacher regelmäßig Phänomene im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Als freier Künstler entwickelt er eigene Lösungen und Routinen für einen ressourcenschonenden Alltag. In Rehfelde initiierte er zB die Experimentiergärten, die Schattenbaumschule und den Sämlingswald.